Von kurzfristiger Massenproduktion und langlebigen Provisorien
Siedlung Müggelheim
Auf Grundlage der Forschungen des Müggelheimer Heimatverein e.V. konnten mindestens sechs Behelfsheimsiedlungen in Müggelheim bestimmt werden. Aufgrund der Kapazität des Projektes sollen jedoch nur vier dieser Siedlungen näher betrachtet werden. Dazu zählen die Siedlungen Blumenfeld und Vogelwiese, sowie die dazugehörigen KZ-Außenlagerbaracken, die Gema-Siedlung und die Waldsiedlung.
Alle vier Siedlungen befinden sich in südwestlicher Lage vom Ortskern, entlang der Sobernheimer Straße. Umgeben von Einfamilienhäusern und Kleingärten wird das Gebiet, in welches sich die Behelfsheime eingliedern, im Westen von der großen Krampe, einer Ausbuchtung der Dahme, und im Süden von Waldgebiet eingegrenzt. In die oft noch kleinflächige Bebauungsstruktur fügen sich die Behelfsheime unauffällig ein. Die Siedlungen scheinen fließend ineinander überzugehen.
Abbildung 1: Behelfsheimsiedlungen in Müggelheim (2022)
Wohnnutzung
Bei Begehungen vor Ort konnte festgestellt werden, dass die als Wohngebäude errichteten Heime auch heute noch fast ausschließlich zum Wohnen genutzt werden. Einige Gebäude dienen als Sommerunterkunft und sind somit nicht ganzjährig bewohnt. So ist es, besonders in der Waldsiedlung, oft der Fall, dass einige der Gebäude im Winter verlassen scheinen. [1] Eine weitere Nutzung, neben der alleinigen Wohnnutzung, stellen Gewerbe dar, die auf den Wohngrundstücken gemeldet sind.
KZ-Baracken
Eine Ausnahme zur allgemeinen Wohnnutzung stellen die ehemaligen Baracken der Außenstelle des KZ Sachsenhausen dar. Aus einem Zeitungsartikel geht hervor, dass sich dort bereits im Jahr 1947, nur drei Jahre nach Beginn der Nutzung als Arbeitslager, eine Werkstatt für Landmaschinen- und Autoreparatur niederließ. Im Laufe der Jahre siedelten sich dort immer wieder verschiedene handwerkliche Betriebe an. Darunter die Kirchenkunstwerkstätten von Artur Klein, ein Klempner- und Installateur-Betrieb, sowie die Axel Hembt Tischlerei. [2] Neben der heute bestehenden Tischlerei, gibt es auf dem Grundstück in der Sobernheimer Straße auch wieder eine Auto- und eine Scheibentönungswerkstatt. [3][4][5] Die heutige Nutzung ist der ursprünglichen Nutzung komplett entfremdet. Nichts deutet bei den Begehungen mehr auf das ehemalige Konzentrationslager hin. Auch Wachtürme, wie sie in Beschreibungen von Zeitzeugen [6] vorkommen, gibt es schon lange nicht mehr. Auch wurde eine der drei Baracken auf dem Gelände bereits abgerissen, auf dieser Fläche stehen heute Wohngebäude. Die zur KZ-Außenstelle zugehörigen, länglichen Gebäude werden mittlerweile als Wohngebäude genutzt, während die Hälfte eines der Gebäude sogar durch einen Neubau ersetzt wurde.
Abbildung 2: KZ Außenlager (2021)
Abbildung 3 & 4: Werkstätten in ehemaligen Arbeiterbarracken (2021)
Aus-, Um- und Weiterbau
Über die Jahre entwickelten sich die von Behelfsheimen geprägten Nachbarschaften zu gepflegten Wohnsiedlungen mit angelegten Gärten. Während die Bewohnenden zuerst oft Kleinigkeiten, wie zum Beispiel Toiletten und Bäder anbauten, sind heute diverse Um- und Anbauformen erkennbar. Einige Behelfsheime mussten Neubauten weichen. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass sich die vier Siedlungen zum Teil drastisch aufgrund der unterschiedlichen Bauformen unterschieden haben. Während in der Waldsiedlung ursprünglich Holzhäuser mit Pultdächern entstanden, handelte es sich bei den Übrigen zumeist um Kleinsthäuser mit Satteldächern. Ein Vergleich unterschiedlicher Anbautypen wird hierdurch zusätzlich erschwert.
Bei gesonderten, dem Bauzustand gewidmeten, Begehungen konnte festgestellt werden, dass die meisten der heute noch bestehenden Gebäude entweder stark modifiziert oder durch Neubauten ersetzt wurden. Während die Mehrheit der Häuser immer noch eingeschossig ist, gibt es auch einige Ausnahmen, wie Unterkellerungen oder gar Aufstockungen um ein zweites Geschoss. Obwohl die Fläche der Gebäude im Schnitt um einiges Größer ist als im Originalzustand, wirken sie oft dennoch kompakter als Vergleichsbauten im unmittelbaren Umfeld, was sich auch auf die Grundstücksgrößen zurückführen lässt. Typische Veränderung der Gebäude ist die Verlängerung des Wohnraumes entlang der Schleppen der Dächer (sowohl bei Pult- als auch bei Satteldächern). Einige Behelfsheime wurden miteinander, um mehr Fläche zu erhalten.
Besonders in der Waldsiedlung ähneln sich viele Gebäude, da sie zumeist auch heute noch das ursprünglich verbaute Satteldach besitzen.
Abbildung 5 & 6: Anbau von Schleppe (2021)
Abbildung 7: zwei zusammengelegte Behelfsheime (2021)
Infrastruktur
Der Wohnkomfort, den die meisten Berliner*innen heute gewohnt sind, ließ in den Siedlungen in Müggelheim durchaus auf sich warten. In den Siedlungen Blumenfeld und Vogelwiese gab es zu Beginn weder Strom noch eine private Wasser- oder Abwasserversorgung. Zuerst gab es Sammelwasserstellen, auf die alle Anwohnenden Zugriff hatten. Später wurden dann durch Eigenleistung auch Wasserzähler und Leitungen zu den einzelnen Häusern verbaut. Erst nach der Wende wurden individuelle Wasseranschlüsse und die Kanalisierung umgesetzt. Da die Erschließung über Privatgrund erfolgt, mussten die Bewohnenden die Kosten dafür selbst übernehmen. Bis dahin sammelte man sein Abwasser in dafür vorgesehenen Gruben.
An das Stromnetz wurden die Siedlungen erstmals 1946 angeschlossen. Der Leitungsbau erfolgte kostenfrei durch die Bewag, die sich 1961 auch dazu bereit erklärte die Straßenbeleuchtung auszubauen. Nach der Wende wurden schließlich auch Gas- und Telefonleitungen verlegt. [6]
Abbildung 8: Straße in der Siedlung Blumenfeld (2021)
Eigentumsverhältnisse
Zu DDR-Zeiten wurden viele der Behelfsheime kommunal verwaltet und zur Pacht freigegeben. Das ursprüngliche Ziel war, die Siedlungen nachhaltig in Kleingärten umzuwandeln. Dabei stieß man allerdings auf Widerstand der Bewohner*innen, weshalb nur wenige der als Eigenheim genutzten Behelfsheime umgewandelt werden konnten. Die Umwandlung wurde später vom Bezirksbürgermeister untersagt, da dieser den Siedlungscharakter der Wohnhäuser bestätigte. Das Gelände der Siedlungen Blumenfeld und Vogelwiese gehörte ab 1966 dem Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK), und wurde in Generalpacht übergeben. Um die Interessen der Anwohnenden zu stärken, wurde 1990 den Verein Blumenfeld-Vogelwiese e.V. gegründet.
In der DDR galt, dass Gebäudeeigentum nicht dem Bodeneigentum entsprach. So wurde es einigen Bewohner*innen erst nach der Wende möglich ihre Grundstücke vollständig zu erwerben. Bereits vorher war es durch Übereignung der Gebäude möglich, Bauanträge zu stellen und die einzelnen Gebäude zu verändern. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz erlaubte es fortan den dort Lebenden Verhandlungen zu eröffnen, die wiederum einen Erbbaupachtvertrag erzielten, um Gebäude- und Bodeneigentum zu vereinen. Dabei unterstützte die Deutsche Bank viele der Kaufenden mithilfe von Krediten zum Erwerb ihres Eigenheims. [6]
Abbildungen
Abb.1: Eigene Darstellung (2022).
Abb.2-8: Eigene Aufnahmen (2021).
Quellen
[1] Interview mit Bewohner*innen (2022).
[2] ND Zeitung (1995): unbekannt.
[3] Meinestadt (o.J.): Axel Hembt Tischlerei, (online) https://branchenbuch.meinestadt.de/berlin/company/2084548 zuletzt aufgerufen am 12.02.2022.
[4] Werkstattgetriebe (2022): ABK Autohaus Müggelheim GmbH, (online) https://www.werkstattgetriebe.de/berlin/werkstatt/2471/abk-autohaus-mueggelheim-gmbh zuletzt aufgerufen am 12.02.2022.
[5] SAS Design (o.J.): SAS Design – Mehr als nur Werbung, (online) https://www.sas-werbung.de/ zuletzt aufgerufen am 12.02.2022.
[6] Müggelheimer Heimatverein e.V.(2008-2022): Ausstellung: Geschichte der Behelfsheimsiedlungen in Müggelheim.
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