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Gedächtnis und Erinnern

Im Rahmen des Studienprojektes soll an den Berliner Behelfsheimbau und die damit einhergehenden Verbrechen erinnert und gedenkt werden. Doch wie funktioniert eigentlich das Erinnern in einer Gesellschaft? Und wie gehen die unterschiedlichen Betroffenen mit ihren teils traumatischen Erinnerungen um? Der folgende Text gibt einen Überblick über unterschiedliche Arten von Gedächtnissen und stellt Umgangsformen der Erinnerung von Opfern und Täter*innen heraus. 

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Individuelles, soziales, kollektives Gedächtnis

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Zu dem Bau und dem Leben in Behelfsheimen bestehen bei verschiedenen Akteur*innengruppen divergierende Erinnerungen. So verbinden Nutzer*innen mit den Gebäuden andere Erinnerungen wie die Erbauer*innen und Kollektive besitzen wieder andere Erinnerungen. Voraussetzung, damit sich Personen(-gruppen) erinnern können ist, dass die Erinnerungen gespeichert werden. Das Speichermedium für Erinnerungen sind die Gedächtnisse, die sich je nach Akteur*in unterschiedlich konstituieren. Im weiteren Verlauf wird auf die verschiedenen Arten der Gedächtnisse eingegangen. Hierbei wird auf die Theorie von Aleida Assmann [1] zurückgegriffen, die sich mit den unterschiedlichen Arten von Gedächtnissen in Bezug auf Erinnerungskultur beschäftigte. Assmann unterscheidet in ihren Forschungen zwischen dem individuellen, sozialen und kollektiven Gedächtnis.

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Das individuelle Gedächtnis existiert in dem einzelnen Individuum: Es konstituiert sich kontinuierlich aus Erfahrungen, Erzählungen usw., die eine Person selbst erlebte. Dieses Gedächtnis entsteht durch die Kommunikation mit anderen Personen. Der Austausch ruft die fragmentarischen Erinnerungen auf und setzt sie in einen Zusammenhang. Das individuelle Gedächtnis erlischt mit dem Ableben des Individuums. Das soziale Gedächtnis konstituiert sich aus den gleichen Erfahrungen, die eine bestimmte Generation erfährt. Jede Generation besitzt somit spezifische Erlebnisse, die durch die jeweiligen in Raum und Zeit bspw. Lebensumstände, Werte usw. geprägt sind.

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Das kollektive Gedächtnis konstituiert sich aus Entitäten, die Sinnstiftung ermöglichen. Während Träger des individuellen Gedächtnisses das neuronale Netzwerk im Gehirn ist, was durch soziale Kommunikation befruchtet wird und beim sozialen Gedächtnis der Träger die soziale Kommunikation ist, die von individuellen neuronalen Netzwerken befruchtet werden, sind der Träger des kollektiven Gedächtnisses kulturelle Symbole. Diese kulturellen Symbole können Schriftdokumente oder Bilder sein. Die soziale Kommunikation befruchtet das kollektive Gedächtnis. Im Unterschied zum individuellen und sozialen Gedächtnis sind diese Erinnerungen nicht auf eigene Erfahrung begrenzt. Der Rückgriff auf kulturelle Symbole ermöglicht das Reproduzieren von Erinnerungen längst verstorbener Generationen. 

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Zusammenfassend findet Erinnerung auf einer individuellen, sozialen und kollektiven Ebene statt, wobei das Gedächtnis die Grundlage für die Erinnerung ist. Da das kulturelle Gedächtnis im Gegensatz zu individuellen und kleineren sozialen Gedächtnissen längere Zeit überdauert, ist es für das Erinnern an gesellschaftliche Ereignisse von entscheidender Bedeutung. So ist das kulturelle Gedächtnis essenziell für die Erinnerungskultur in Deutschland. Hierzu gehört auch das von dem Projekt ausgehende Ziel, an das Erbe der Behelfsheime zu gedenken. Gleichwohl sind auch die individuellen Gedächtnisse der Nutzer*innen von Interesse, beispielsweise die Bewohner*innen eines Hauses, da sie etwas über das Selbstbild und dem Umgang mit dem Erbe des Behelfsheims aussagen.

 

Unterschiedlicher Umgang mit Erinnerungen zwischen Täter*innen und Opfer

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Wie bereits erwähnt, findet Erinnerung auf unterschiedlichen Ebenen statt. Die Erinnerungen, die innerhalb eines Kleingartenvereins zu den ehemaligen Behelfsheimen bestehen, sind andere als die der Erbauer*innen. Neben den verschiedenen Ebenen (individuell, sozial und kollektiv), auf denen an Behelfsheime Erinnerung stattfindet, gibt es in zu den Behelfsheimen aber auch noch einen besonderen Dualismus, der auf den Bau der Behelfsheime zurückgeht. Denn Behelfsheime wurden zu großen Teilen von Zwangsarbeiter*innen errichtet. Somit stehen sich in diesem Zusammenhang auch unterschiedliche Erinnerungen der Täter*innen und der Opfer gegenüber.

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Für die Erinnerungsbewältigung haben Täter*innen wie auch Opfer unterschiedliche Umgangsformen. Da ist zum einen das Trauma, bei dem die Psyche der Opfer auf die bedrohlichen Erlebnisse mit einer Abspaltung der Erfahrungen reagiert. Daneben gibt es das Beschweigen von traumatischen Erinnerungen, was bei Opfer und Täter*innen aus verschiedenen Gründen praktiziert wird. Eine andere Form der Erinnerungsbewältigung ist das Verschweigen der Erinnerungen, das meist von Opfern praktiziert wird und aufgrund asymmetrischer Machtverhältnisse zu einer „Erinnerungsasymmetrie“ [2] und zu divergierenden Gedächtnissen führt. Die letzte Art der Bewältigung ist die Trauer.

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Beim Behelfsheimbau waren die Zwangsarbeiter*innen Opfer des NS-Regimes und unterlagen asymmetrischen Machtverhältnissen. Hierbei war über lange Zeit das Erinnern an passive, wehrlose Opfer für die Betroffenen ein Problem, da an die Traumata schwerer erinnert werden kann als an heroische Taten. Aus den Verbrechen ließ sich kein positives Narrativ erzeugen, die Opfer dienten keinem höheren Zweck. Während Bezugsgruppen sich an ihre heroischen Opfer erinnern, sind traumatische Opfer auf die Anerkennung von außenstehenden Personen und Gruppen angewiesen. Daher ist es für die Erinnerungsbewältigung der Opfer vom Behelfsheimbau zentral, dass ein Erinnern an das Unrecht entsteht, wodurch die asymmetrischen Machtverhältnisse, die aus der Zwangsarbeit resultieren, reduziert werden.

 

Wie in Bezug auf den Behelfsheimbau die Erinnerungsbewältigung von Opfern und Täter*innen stattfand, ist auf der Seite zur Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel zu sehen. Dort wird mithilfe der Kenntnisse über das Entstehen von Gedächtnissen und der Erinnerungsbewältigung eine Gedenkstätte zu Behelfsheimen analysiert.

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Quellen

[1] Assmann, A. (2021): Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. 4. Auflage. München: Verlag C.H.Beck oHG

 

[2] ebenda S. 107

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Quellen
Individuelles, soziales und kollektives Gedächnis
Unterschiedlicher Umgang mit Erinnerungen

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