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Die Propaganda des NS-Regimes suggerierte, dass Behelfsheime in “Selbst- und Gemeinschaftshilfe” hergestellt wurde. Doch Behelfsheime wurden nicht nur von Einzelpersonen für die Selbstnutzungen errichtet, sondern von einer Vielzahl verschiedener institutioneller Akteur*innen unter Einsatz von Zwangsarbeiter*innen und KZ-Gefangenen.

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Das Narrativ: Ein Familienvater baut für seine Familie

Das Narrativ

Das Narrativ einer für sich selbst bauenden Einzelperson ergibt sich schon aus der Wortwahl des “Behelfen” in Behelfsheim. Auch der Titel des Grundheftes – der Behelfsheimfibel (“Wie baue ich mir ein Behelfsheim?”) – suggeriert das Bild eines Bürgers, der in eigener Arbeit für sich selbst und seine Familie ein Haus errichtet [1]. Die Zeichnungen der Fibeln zeigen eben jene Familienväter, die mit Sohn und Bekannten ein Haus für den restlichen Teil der Familie bauen. In den Fibeln wendet sich das DWH mit direkten Ansprachen an die Bürger*innen:

 

“Mittlerweile aber wird sich der Baugedanke und der Bauwille, weil er uns im Blute liegt, immer mehr ausfüllen. Dann fange mutig deinen Bau an. Im Trotz gegen unseren kulturlosen Feind wird dein kleines Heim gelingen und dir Freude bereiten, weil es deiner Hände Werk ist.” [ebd., S.54]


In der weiteren Kommunikation des NS-Regimes wird die Durchführung etwas differenzierter dargestellt. Der Bau sollte in “Selbst- und Gemeinschaftshilfe” durchgeführt werden [2]. In jeder Gemeinde wurde die Bevölkerung zur Gemeinschaftshilfe aufgerufen und eine oder mehrere Bautruppen aufgestellt. Der Dienst galt als “nationale Ehrenpflicht der Bevölkerung” [3]. Dieses Konstrukt wurde vom DWH in zahlreichen Medien öffentlichkeitswirksam propagiert, was das Narrativ der Einzelperson als Bauträger und (teilweise) ausführende Kraft verfestigte [4].

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Professionalisierte Strukturen schufen viele Behelfsheimsiedlungen

Professionalisierte Strukturen

Der von Einzelpersonen veranlasste Bau dürfte allerdings vielmehr die Ausnahme als der Regelfall gewesen sein. Schon am 22.09.1943, kurz nach der Gründung des DWH, wurden neben Einzelpersonen auch wirtschaftliche Unternehmen und Gemeinden als potenzielle Bauträger aufgezählt [5]. 

Den Gemeinden kam schon durch die Organisation von Arbeitskräften in der “Gemeinschaftshilfe” und der Koordinierung der Finanzierung über die Baukarten eine besondere Rolle zu. Die Recherchen Markus Rodenbergs in Franken ergaben, dass der Großteil des Behelfsheimbaus durch die Gemeinden durchgeführt wurden [6]. Durch Rodenberg zitierte Berichte vom Landrat von Coburg gehen beispielsweise davon aus, dass die meisten Behelfsheime im Landkreis durch die Gemeinden errichtet wurden [ebd.].

Schon im Dezember 1943 rief außerdem die Reichsgruppe Industrie die Industrieunternehmen auf, sich am Bau von Behelfsheimen zu beteiligen [7]. In dem Aufruf werden sämtliche Betriebe dazu angehalten “mit allen Kräften bei der Errichtung von Behelfsheimen” mitzuwirken [ebd.]. Als dem Reichswirtschaftsministerium unterstehende Interessenvertretung der deutschen Industrie verbreitete sie den Aufruf unter sämtlichen Industrieunternehmen in einem großem Teil der Verwaltungsbezirke des Deutschen Reiches. Zu dieser Beteiligung gehörte die “Bereitstellung von Grund und Boden” und die Bereitstellung von Mitarbeiter*innen für den Bau der Behelfsheime [ebd.]. Verbunden damit wird in den Aufrufen betont, dass durch die Regelungen vorgesehen wird, dass das Behelfsheim in das Eigentum des Bauherren und somit in die Hand der Industrie rückgeführt wird und in spätere Siedlungsplanungen übernommen werden kann [ebd.]. 

Die Erkenntnisse Rodenbergs zur Verantwortung der Gemeinden sowie die Annahme, dass zahlreiche Behelfsheimsiedlungen durch Industrieunternehmen errichtet wurden, decken sich in Teilen mit der berlinweiten Recherche des Studienprojektes: In Berlin konnte keine Siedlung ermittelt werden, in der der Bau von Behelfsheimen nachweislich im Selbstbau durchgeführt wurde. Ganz im Gegenteil konnten mehrere Siedlungen ausgemacht werden, die durch die Gemeinden oder Firmen errichtet wurden. Zwar ist hier die schlechte Quellenlage hervorzuheben, dennoch kann man trotzdem davon ausgehen, dass ein bedeutender Teil des Bau von Behelfsheimen in Berlin durch diese Akteur*innen durchgeführt wurde.

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Behelfsheime entstanden auch unter Einsatz von Zwangsarbeit

Einsatz von Zwangsarbeit

Die professionalisierten Strukturen gingen auch mit dem Einsatz von professionellen Arbeiter*innen und Zwangsarbeit einher. Rodenbergs Untersuchungen in Franken kommen zu dem Schluss, dass nur ein einziges Behelfsheim in Eigenleistung erbaut wurde [8]. Er führt hierzu an, dass die Menschen ihrer täglichen Erwerbsarbeit nachgehen mussten oder sich als Soldaten im Krieg befanden und weder die Zeit, noch die nötigen Kenntnisse hatten, um ein Behelfsheim zu errichten [ebd.]. „Unsere Gefolgschaftsmitglieder sind alle dermaßen in Anspruch genommen, daß sie an Wochentagen nicht mehr zum bauen kommen“, hieß es schon im Dezember 1943 in einem Aufruf der Reichsgruppe Industrie [9]. Der Rohstoffmangel, hohe Todeszahlen und sonstige kriegsbedingte Herausforderungen verstärkten das Problem [10]. Schon drei Monate nach Gründung des DWH kam der Reichswohnungskommissar zu dem Schluss, dass “durch die Selbsthilfe sehr viel nicht erreicht werden kann” [11]. Gleichzeitig fehlte es aufgrund des Krieges an Facharbeiter*innen, welche häufig bereits in anderen Projekten eingebunden waren. [12]. Die “Gemeinschaftshilfe” und die eingesetzten Arbeiter*innen der Industrieunternehmen konnten den Mangel nur geringfügig ausgleichen [8].

So wurde schon einen Monat nach Gründung des DWH der Einsatz von Kriegsgefangenen für den Bau von Behelfsheimen in Erwägung gezogen [13]. Mit Voranschreiten des Krieges wurden Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge zu einem wichtigen Faktor der Bauwirtschaft. Insbesondere bei Betrieben der Rüstungsindustrie war der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen ein übliches Verfahren. [14] Kriegsgefangene und Jüd*innen wurden dort als „sonstige Arbeitskräfte“ bezeichnet und unentgeltlich eingesetzt. Ein Beispiel ist die Siemens-Bauunion GmbH, die im Dezember 1944 insgesamt 1307 KZ-Häftlinge in Königs Wusterhausen einsetzte, die der Organisation Todt unterstellt waren.­ [15] Die Organisation Todt war eine militärisch gegliederte Bauorganisation. Ab 1943 mussten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen unter schwersten Bedingungen auf den Baustellen der Organisation arbeiten. [16] Teilweise wurden Zwangsarbeiter*innen auch Privatpersonen zur Verfügung gestellt: Ein Schreinermeister in Franken berichtete, dass er zur Unterstützung für drei Wochen einen Kriegsgefangenen vom Arbeitsamt erhielt [8].

Im Laufe des Krieges wurde der Bau von Behelfsheimen zudem industrialisiert und die Heime zunehmend aus Fertigteilen hergestellt. Ein Beispiel für diese industrielle Fertigung ist das KZ Neuengamme [17]. Zuerst wurden im Klinkerwerk des KZ die Baustoffe hergestellt. Später wurden Betonelemente gefertigt und in Außenlagern durch überwiegend jüdische Frauen zusammengebaut [18][19]. Alleine durch Insassen des KZ Neuengamme und der dazugehörigen Außenlager wurden in Poppenbüttel nachweislich 300 Behelfsheime aufgebaut [20]. Andere Lager in Bremen-Obernheide, Hamburg-Eidelstedt und Hamburg-Neugraben dienten auch dem Behelfsheimbau [ebd.]. Damit gingen sämtliche bekannten Folgen von KZ-Arbeit einher wie z.B. Folter, Demütigung, menschenunwürdige Behandlung und Arbeit bis hin zum Tod. Angesichts der Ausmaße im KZ Neuengamme ist davon auszugehen, dass auch bei einem bedeutenden Teil, wenn nicht bei einem Großteil, der in Deutschland gebauten Behelfsheime KZ-Insassen und Zwangsarbeiter zumindest zum Teil eingesetzt wurden.

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In Müggelheim ist Zwangsarbeit nachgewiesen

Zwangsarbeit in Müggelheim

Die sieben Behelfsheimsiedlungen im Berliner Ortsteil Müggelheim wurden in peripherer Lage umgeben von Wäldern und Gewässern errichtet. Auftraggeber waren verschiedene Berliner Industriebetriebe, die Unterkünfte für ihre “ausgebombten” Mitarbeitenden errichten wollten, damit diese möglichst ungehindert weiterarbeiten konnten (s. Abb.)[21]. Um auf 18 ha Land in kürzester Zeit den Bau von 350 Behelfsheime zu realisieren, wurden in Müggelheim KZ-Häftlinge eingesetzt. [22] Da konzentriert auf engem Raum abseits der Innenstadt eine solch große Anzahl an Gebäuden gebaut werden sollten, entschied man sich dafür, eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen direkt vor Ort einzurichten. Im April 1944 wurden 30-40 Zwangsarbeiter in Müggelheim stationiert, die ihr eigenes Lager direkt an der Haupterschließungsachse aufbauen mussten [23]. Dazu gehörten zwei längere Barackenzeilen, mehrere Wachtürme sowie Nebengebäude. Um den Behelfsheimbau bewältigen zu können, wurden in den Baracken in den nächsten Monaten mehrere Hundert Häftlinge untergebracht [24]. Diese gehörten zur SS-Baubrigade 2b, welche zum Teil zuvor vermutlich im Berliner Ortsteil Lichterfelde in einem weiteren Außenlagers des KZ Sachsenhausens inhaftiert waren [ebd.]. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei vor allem um Ausländer*innen und Widerstandskämpfer*innen – Zeitzeugen aus Müggelheim berichten vor allem von osteuropäischen Sprachen [ebd.]. Die Baumaterialien, häufig Trümmer, kamen auf dem Wasserweg aus der Innenstadt und wurden in Müggelheim an der Großen Krampe abgeladen. Von hieraus mussten die Häftlinge die Steine zu den jeweiligen Siedlungen bringen [25], wobei hierfür später Schmalspurschienen angelegt wurden [23].

Dass der Großteil der Arbeit durch Häftlinge und nicht etwa durch die zukünftigen Bewohnenden in Selbstbauweise mithilfe von Fibeln geleistet wurde, wird auch dadurch deutlich, dass die Anzahl der in Müggelheim untergebrachten Häftlinge so hoch war [22]. Ein weiteres Indiz ist die Tatsache, dass nach Abzug der Baubrigade im Februar 1945 nach Bayern zum einen kaum noch neue Behelfsheime errichtet wurden – so blieb etwa ein ganzes Planungsgebiet in Angrenzung an die Forst-Wald-Siedlung unbebaut – zum anderen aber auch viele Behelfsheime unfertig zurückgelassen wurden [26]. Denkbar ist jedoch durchaus, dass die Fertigstellung dieser durch die jeweiligen Bewohnenden realisiert wurde und somit einige Gebäude in hybrider Bauweise entstanden sind. 

Nicht nur die Behelfsheime sind heute noch – wenn auch größtenteils stark überformt – vorhanden, auch die KZ-Baracken sind gut erhalten. Nichtsdestotrotz deutet vor Ort nichts auf die Geschichte des Ortes hin. Zwar gab es in den 1980er-Jahren Bemühungen einen Gedenkstein zu errichten, dies scheiterte allerdings an der mangelhaften Informationslage und dem in der DDR vorherrschenden Wunsch ausschließlich nachgewiesenen Antifaschisten zu erinnern [27]. Der Müggelheimer Heimatverein hat den Behelfsheimsiedlungen im Jahre 2008 eine Ausstellung gewidmet und in diesem Rahmen ebenfalls den Aspekt der Zwangsarbeit beleuchtet. Auch unter den heutigen Bewohnenden ist dieser Teil der Geschichte Müggelheims bekannt, jedoch wird unterschiedlich damit umgegangen. Einige halten an dem Narrativ fest, dass es sich nicht um inhaftierte Ausländer*innen und Widerstandskämpfer*innen handelte, sondern um straffällig gewordene Nazis, also um „Kriminelle“ – so der Wortlaut eines Anwohners. Andere sind sich der Tragik bewusst und haben gerade deswegen ihr Haus so stark überformt, da das Gedenken an die Zwangsarbeiter zu schmerzhaft ist und sie es „unsichtbar“ machen wollten.

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In Karlshorst und Hermsdorf ist Zwangsarbeit nicht nachgewiesen - kann aber zumindest angenommen werden

Zwangsarbeit - Karlshorst und Hermsdorf

Die ehemalige Behelfsheimsiedlung im Ortsteil Karlshorst in Berlin-Lichtenberg liegt weniger randstädtisch als die Siedlungen in Müggelheim und war somit besser an die städtische Infrastruktur angebunden. In der heutigen Kleingartenanlage wird davon ausgegangen, dass das Grundstück vermutlich vom Gutsherren Treskow zur Verfügung gestellt und der Bau vom Land Berlin organisiert wurde. Die übermittelten Informationen sind allerdings lückenhaft, sodass es keinen finalen Nachweis dafür gibt. Ebenso ist die Frage, ob in Karlshorst Zwangsarbeiter am Aufbau der Behelfsheime beteiligt waren, nicht sicher zu beantworten. Eine extra eingerichtete KZ-Außenstelle wie in Müggelheim gab es nicht, doch befanden sich in der Nähe mehrere Arbeitslager, beispielsweise das Arbeitserziehungslager Wuhlheide, dessen Häftlinge auch im Ortsteil Karlshorst eingesetzt wurden [28]. Die Recherche zum Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen stellt sich sehr beschwerlich dar. Viele relevante Informationen wurden nicht ausreichend dokumentiert, sodass ein Teil der dunklen Geschichte, die der massenhafte Behelfsheimbau zweifelsohne mit sich brachte, verborgen bleibt. Einige Quellen berichten jedoch darüber, dass die Siedlung in Karlshorst von der Organisation Todt gemeinsam mit der Firma Siemens für deren Mitarbeitende erbaut wurde [29] – dies würde den Einsatz von Zwangsarbeitern nahelegen, da beide Institutionen nachweislich KZ-Häftlinge für sich arbeiten ließen. Andere Quellen widersprechen dieser Annahme jedoch: So sind im Siemens-Archiv „Siemens Historical Institute“ keine Akten zu Behelfsheimen in Karlshorst zu finden. Auch liegt kein Nachweis vor, der die Erstbewohner*innen tatsächlich als Angestellte von Siemens identifizieren könnte. Gegen die Errichtung durch “die Ausgebombten” selbst mit Hilfe von Behelfsheimfibeln und für einen zentral organisierten Aufbau vermutlich durch Zwangsarbeiter spricht jedoch die gleichmäßige Siedlungsstruktur, die einer klaren Ordnung folgt sowie die Tatsache, dass die Bewohner*innen in fertige Behelfsheime eingezogen sein sollen, ihre Unterkunft vorher also nicht selbst errichten mussten. Heutige Bewohner*innen berichteten außerdem, dass das Material der Gebäude auf Fertigteile hindeutet (wie bereits oben hinsichtlich des KZ Neuengamme beschrieben), was definitiv gegen das Narrativ des Selbstbaus spricht.

Die Informationslage zur Behelfsheimsiedlung im Ortsteil Hermsdorf in Berlin-Reinickendorf ist sehr dünn. Klar ist, dass diese 1944 für “ausgebombte” Berliner*innen auf einem ehemaligen öffentlichen Sportplatz errichtet wurde [30]. Einige Quellen schreiben, dass das Land Berlin den Bau der Siedlung verantwortete [ebd.]. Von einer Firma, die für ihre Angestellten Unterkünfte errichtete, wie es in Müggelheim der Fall war, ist hingegen nichts überliefert. Auch die Recherche nach umliegenden Arbeitslagern hat keinen Aufschluss über den Einsatz von Zwangsarbeitern gegeben. So können lediglich Vermutungen darüber angestellt werden, unter welchen Umständen die Behelfsheime entstanden sind. Mögliche Indizien für eine organisierte, zentral gesteuerte Errichtung der Siedlung und gegen die Möglichkeit des Selbstbaus geben historische Fotos und Karten [zu sehen auf ebd.]. So ist erkennbar, dass zum einen die Parzellen wie auf einem Reißbrett entworfen wirken und eine außerordentliche Gleichmäßigkeit aufweisen, zum anderen aber auch die Behelfsheime selbst sehr exakt und professionell errichtet wurden. Ein historisches Foto von 1944 zeigt die Siedlung kurz vor der Fertigstellung. Auffällig ist hierbei, dass alle Gebäude nahezu gleichzeitig fertig wurden, aber auch die sehr professionell wirkenden Dachstühle der noch ungedeckten Giebeldächer sowie ein mit mehreren Türen beladener Wagen sprechen gegen die Selbstbauweise. Die Fibeln weisen die “ausgebombten” Bürger*innen hingegen an, mit einfachsten Mitteln ihr Behelfsheim zu bauen. Doch solch laienhafte Umsetzungen können in Hermsdorf aufgrund des Fotos wohl gänzlich ausgeschlossen werden. Aber auch wenn alles für den Einsatz von professionellen Arbeitern spricht, bleibt die Frage, ob es sich hierbei um Handwerker oder eben doch Zwangsarbeiter handelte – dies bleibt im Rahmen dieses Studienprojektes leider ungeklärt.

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Die Erinnerung an den Behelfsheimbau ist auch eine Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit

Die Erinnerung an den Behelfsheimbau

Stellt man die Frage, wer die Behelfsheime für wen gebaut hat, muss man auch das Narrativ betrachten, dass das NS-Regime hinsichtlich des Behelfsheimbaus propagiert hat. Bis in die heutige Zeit wird teilweise reproduziert, dass Behelfsheime üblicherweise von ausgebombten Bürger*innen in tapferer Eigenleistung errichtet wurden. Dies stimmt nicht.

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Zwar erlaubt es die schwierige Quellenlage nicht quantitativ zu benennen, wie viele Heime in Eigenleistung und wie viele unter Einsatz von Zwangsarbeit errichtet wurden – die Betrachtung von Erlassen, internen Rundschreiben und der Entstehungsgeschichte einzelner Siedlungen zeigt jedoch, dass das Nazi-Regime den Bau von Behelfsheimen von Beginn an auch von einem Netz aus professionellen Akteur*innen realisieren lassen hat. Dabei wurde in bedeutendem Maße auf Zwangsarbeit und KZ-Arbeit gesetzt. Unabhängig davon ob dies teilweise oder größtenteils der Fall war, wird der Holocaust und die anderen Kriegsverbrechen des NS-Regimes somit zu einem bedeutenden Teil der Geschichte der Behelfsheime. Lange wurde diese Vergangenheit gar nicht thematisiert und auch in aktuellen Texten spielt sie, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Das zeigt, dass das Narrativ über die Jahre weiter transportiert wurde. Es ist anzunehmen, dass Informationen über den Bau von Siedlungen nicht festgehalten wurden. Zudem basiert ein großer Teil des Wissens über das Entstehen von Behelfsheim(-siedlungen) auf Erzählungen, was wiederum die Reproduktion eines Narrativs begünstigt. Eine “angebrachte” Erinnerungskultur muss diesen Aspekt jedoch besonders berücksichtigen und integrieren, um das von den Nationalsozialisten propagierte Narrativ nicht in die Gegenwart und die Zukunft zu transportieren.

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Quellen

[1] BArch, R4002/140: Behelfsheimfibel (Grundheft) - Wie baue ich mir ein Behelfsheim.

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[2] Reichsgesetzblatt (1943): Teil I, Erlaß des Führers über die Errichtung des Deutschen Wohnungshilfswerkes.

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[3]BArch, R12/I23: Abschrift II Nr. 2141/19/43 des Reichswohnungskommissars vom 22.09.1943, S. 5.

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[4] BArch, R12/I23: Mitteilungsblatts des Deutschen Wohnungshilfwerks vom 15.Februar.1944, herausgegeben vom Reichswohnungskomissar.

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[5] BArch, R12/I23:: Rundschreiben Nr. 107/43 der Reichsverbandleiter an die Mitglieder des Reichsverbandes Industrie S.1ff.

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[6] Rodenberg, M. (2020): Gelebte Räume. Behelfsheime für Ausgebombte in Franken, S.  210-215, Band 90, Bad Windsheim: Verlag Fränkisches Freilandmuseum in Bad Windsheim.

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[7] BArch, R12/I23:: Rundschreiben der Reichsgruppe Industrie an die Leiter der Industrieunternehmungen vom 10.12.1943.

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[8] Rodenberg, M. (2020): Gelebte Räume. Behelfsheime für Ausgebombte in Franken, S.  210-215, Band 90, Bad Windsheim: Verlag Fränkisches Freilandmuseum in Bad Windsheim.

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[9] BArch, R12/I23: Rundschreiben der Reichsgruppe Industrie an die Leiter der Industrieunternehmungen vom 10.12.1943.

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[10] BArch, R81281/6207: Anlage 5 zum Rundschreiben an die Betriebsführer und Unternehmensbeiratsmitglieder vom 21.10.1943, S. 7.

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[11] BArch, R81281/6207: Zusammenfassung des Rundschreibens des Referats für Wohnungsfragen vom 21.10.1943 S.7.

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[12] BArch R4002152: Besprechung über das “Deutsche Wohnungshilfswerk” - Behelfsheime - auf Einladung der Reichsgruppe Industrie am 12.11.1943 im Hochtiefhaus zu Essen, S. 5.

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[13] BArch, R8128/16207: Zusammenfassung des Rundschreibens des Referats für Wohnungsfragen vom 21.10.1943 S.8.

 

[14] Rodenberg, M. (2020): Gelebte Räume. Behelfsheime für Ausgebombte in Franken, S.  210-215, Band 90, Bad Windsheim: Verlag Fränkisches Freilandmuseum in Bad Windsheim.

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[15] BArch R50I/626: Rechnung der Organisation Todt an die Siemens Bauunion GmbH vom Dezember 1944.

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[16] LeMO - Lebendiges Museum Online (2021): Die „Organisation Todt“ [online] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/organisation-todt.html zuletzt aufgerufen am 30.03.2022.

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[17] Ng.6.4.35.1 Schellen, Petra (16.09.2008): Dünn bekleidet Beton schleppen, in taz hamburg.

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[18] KZ-Gedenkstätte Neuengamme (KZ Ng.) (2014): Die Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel - Die Verfolgung von Frauen im nationalsozialistischen Hamburg und die Erinnerung an die Opfer. Hamburg: Druckerei Siepmann GmbH, S. 30.

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[19] KZ-Gedenkstätte Neuengamme (o. D.): Geländeplan.  Kriegsbedingte Erweiterung der Produktion: Betonsteinherstellung. Online verfügbar unter:  http://neuengamme-ausstellungen.info/media/ngmedia/browse/2/23 (aufgerufen am 04.04.2022).

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[20] in: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Ng.6.4.35.1): Ng.6.4.35.1 Thematische Sammlung KZ Neuengamme Außenlager Hamburg-Sasel [Frauenlager]. Überblick.

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[21] Abb. 1: Bezirksamt Berlin-Köpenick (o.J.): Übersichtsplan der Ortslage Müggelheim. Verändert durch den Müggelheimer Heimatverein.

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[22] Braun, M. (2019): Auf den Spuren der SS-Baubrigade, in: Müggelheimer Bote, Februar 2019, S. 13-14.

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[23] Schäfer, M. (2008): KZ-Häftlinge bauten Behelfsheime, in: Müggelheimer Bote, Juli 2008, S. 4-5.

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[24] Wuttke, V. (1995): Fast ein Jahr lang war mitten in Müggelheim ein KZ, in: Neues Deutschland, 03.05.1995.

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[25] Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. (o.J.): Satellite Camps [App] zuletzt aufgerufen am 16.03.2022.

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[26] Müggelheimer Heimatverein (2008): „Die Wald-Siedlung“ [Ausstellungstafel].

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[27] Schriftwechsel Heinz Hentschke mit diversen Personen, einsehbar im Bezirksarchiv Treptow-Köpenick.

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[28] Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Abteilung Bildung und  Kultur (1995): 100 Jahre Karlshorst, Berlin, S.158.

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[29] Bezirksamt Lichtenberg (1995): Auf den Spuren der Vergangenheit, S.55; Kulturring in Berlin e.V., S.39.

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[30] Schindler, C. (2019): Vom Behelfsheim zum schmucken Haus, in: Berliner Woche [online] https://www.berliner-woche.de/hermsdorf/c-bauen/vom-behelfsheim-zum-schmucken-haus_a223951#gallery=null zuletzt aufgerufen am 30.03.2022.

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Quellen

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