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Einleitung

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Einleitung
Abbildung 1: Behelfsheim in der Waldsiedlung im Originalzustand (2022)
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Abbildung 2: Bescheid über das Behelfsheim des Arbeitgebers (2022)

Im Rahmen der Recherche und Begehungen ergab sich, ein Interview mit zwei Personen einer Familie aus der Waldsiedlung in Müggelheim zu führen. Die ältere Person war bei ihrem Einzug im April 1945 sechs Jahre alt und die Andere wurde 1947 in dem Behelfsheim geboren. Somit können sie von dieser Zeit sowie den Umbauten des Behelfsheims aus erster Hand berichten. Für die folgenden Schilderungen ist wichtig zu beachten, dass es sich lediglich um ein Einzelbeispiel handelt. Dieses vermittelt jedoch einen guten Eindruck, wie das Leben in einer Behelfsheimsiedlung und die baulichen Veränderungen eines Behelfsheims ausgesehen haben können.

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Zuerst wurde in diesem Behelfsheim, welches zwei Räume umfasste, zu fünft gewohnt. Da der Vater bei der Stahlbaufirma Lindhorst arbeitete, wurde der Familie, nachdem der vorherige Wohnort in Kreuzberg ausgebombt wurde, ein Behelfsheim zur Verfügung gestellt, für welches die Familie noch 500 Reichsmark zahlen musste. 

Die Familie ist sogar im Besitz von zwei Grundstücken, das zweite wurde nie bebaut. Nach der Wiedervereinigung wurde die Familie zum Eigentümer der beiden Grundstücke. Nicht nur die Firma Lindhorst erwarb Grundstücke bzw. Behelfsheime für Mitarbeiter*innen. Es wohnten in dieser Siedlung unter anderem auch Familien von Polizeibeamten.

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Im Folgenden wird konkreter auf das Leben und die Umbauten des Behelfsheims eingegangen.

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Abbildung 3: Originalräume des Gebäudes (2022)

Leben in der Siedlung

Insgesamt wohnten rund 40 Familien in der Siedlung. Zu Kriegszeiten waren vor allem Frauen vor Ort, da viele Männer noch im Krieg dienten. Nach Kriegsende verließen einige der Familien die Waldsiedlung wieder, zogen ins Stadtzentrum und nutzten die Heime als Sommerlauben, andere blieben dauerhaft wohnen.

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Das Haus der Familie wurde, wie die anderen Behelfsheime der Siedlung, auf einem Waldgrundstück errichtet, so dass viele der Gebäude noch heute von hohen Bäumen umgeben sind. Es wurden Stromleitungen entlang der heutigen Wege verlegt. Die Straßen waren damals noch nicht benannt und wurden alle als Krampenburger Weg bezeichnet. Die Wasserversorgung wurde zunächst durch einen zentralen Anschluss in der Mitte der Siedlung gewährleistet, von dem sich die Bewohner*innen mit Eimern Wasser holen konnten. Auf den einzelnen Grundstücken befanden sich Toilettenhäuschen und viele Familien hielten Kleintiere, wie Hühner und Nutrias - Nagetiere, deren Fell sehr begehrt war, da dessen Verkauf eine wichtige Einnahmequelle für die Bewohner*innen darstellte.

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Zwischen den Menschen in der Waldsiedlung und denen in anderen Behelfsheimsiedlungen in Müggelheim bestand nicht viel Kontakt. Innerhalb der Siedlung war ein starker Zusammenhalt spürbar, der sich insbesondere durch Freundschaft und Hilfsbereitschaft sowie den Austausch von Werkzeugen und Materialien ergab.

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Durch den Zuzug der vielen Familien war die Schule in Müggelheim stark überfüllt, so dass zusätzliche Baracken aufgestellt wurden, um alle Schüler*innen zu beherbergen. In der Schule erhielten die Kinder auch ein Mittagessen, was für viele die einzige warme Mahlzeit am Tag war. Rückblickend erinnern sich die Kinder der Familie an viele schöne Momente in der Siedlung, auch wenn ihre Kindheit von Hunger geprägt war. Sie spielten viel draußen auf den kaum befahrenen Straßen, konnte im Sommer im nahegelegenen Flussarm schwimmen und im Winter Schlittschuh laufen.

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Nachdem die Kinder der Familie erwachsen wurden und ausgezogen waren, kehrte die jüngste Tochter 1987 mit ihrem Ehemann zurück zu ihrer Mutter in das Behelfsheim, in dem sie aufgewachsen war. Sie sind eine der wenigen Familien, die von den ursprünglichen Bewohner*innen geblieben sind. Die meisten anderen sind mittlerweile verstorben bzw. ihre Nachkommen sind weggezogen.

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Erster Umbau

Leben in der Siedlung
Erste Umbau
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Abbildung 4: Umbauarbeiten am Haus (2022)

Bereits kurze nach Ende des Krieges wurden am Haus Verbesserungsarbeiten durchgeführt, welche den Wohnkomfort für die Bewohnenden erhöhen sollten. Das Originalhaus blieb bis heute erhalten, jedoch entschloss man sich im Laufe der Jahre dazu, dieses auszubauen und zu erweitern.

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Ursprünglich bestand das Haus, wie alle anderen in der Waldsiedlung auch, aus Holz. Dabei handelte es sich um doppelwandige Holzfertigteile, welche industriell vorgefertigt und im Montagebau zu Behelfsheimen errichtet wurden. Das Dach wurde mit Holzpappe gedeckt, welche mit einer darüberliegenden Blechkonstruktion gestärkt wurde. Später bauten die Bewohnenden ein, aus dem ausgebombten Zuhause mitgebrachtes, Metallrohr ein, welches als Schornstein diente. Zum Zeitpunkt der Übergabe war das Gebäude nur mit der allernötigsten Basisausstattung versehen. Im Gebiet war zum Zeitpunkt des Bezuges keine Infrastruktur, wie zum Beispiel individuelle Wasseranschlüsse und befestigte Straßen, gegeben.

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Auffällig ist, dass große Baumaßnahmen oft etappenweise durchgeführt wurden. Grund dafür war oft, dass man benötigte Mengen an Geld erst ansparen musste, bevor der Umbau beginnen konnte. Aber auch die allgemeine Materialknappheit in den Jahren nach dem Krieg trug dazu bei.

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Die erste große Baumaßnahme war die vollständige Unterkellerung des ursprünglichen Behelfsheims. Zuvor wurde lediglich die Überdachung des Eingangsbereiches vorgenommen. Das Haus besaß kein richtiges Fundament. Ursprünglich wurde der Boden durch eine Konstruktion aus Holzbalken und Steinen belüftet, um auf diese Weise Schimmel vorzubeugen. Für die Unterkellerung wurde das Gebäude mithilfe eines Autohebers und gefällten Bäumen angehoben. Nachdem man die Baumstämme zum Stabilisieren des Gebäudes benutzte, grub man Erde unter dem Haus weg und setzte zum Halt den Heber an. Um ein Absacken des Hauses zu verhindern, wurden die untergrabenen Ecken direkt mit Steinen unterlegt. So wurden alle vier Ecken des Gebäudes nacheinander untergraben und gestützt, damit man den kleinen Keller, mit identischer Raumaufteilung wie im Originalteil, bauen konnte. Die Steine, welche für die Arbeiten genutzt wurden, stammten von ausgebombten Gebäuden.

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Abbildung 5: Plan des Kellers (2022)
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Abbildung 6: Behelfsheim nach dem Umbau, mit Keller (2022)

Die ersten selbst errichteten Wände bestanden aus Lehm, den man aus einer Grube, nahe des Dorfkerns bekam, und Schilf. Um diese zu stabilisieren, wurden sie mit Holzverschränkungen verstärkt. Später benutzte man auch Stahlträger, die nachts heimlich von einer Lorenbahn in Nähe der Siedlung abgeschraubt wurden.

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Nach der Unterkellerung des Gebäudes wurde der mittlere Bereich des Flurs ausgebaut.

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Der private Anschluss an das Wassernetz erfolgte 1952. Die Gewährung des Antrags wurde aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Nutrias, bzw. deren Pelz als devisenbringendes Exportgut, bevorzugt genehmigt. Aus dem ehemaligen Hühnerstall wurde im späteren Verlauf eine Waschküche, in welcher sich auch eine Zinkbadewanne befand.

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Der Anschluss der Behelfsheimsiedlung an das öffentliche Trinkwassernetz wurde durch die Bewohner*innen des Gebiets in gemeinschaftlicher Eigenarbeit hergestellt. Heute ist das Gebäude an die Kanalisation angeschlossen sowie viele der Nachbargebäude wohl auch.

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Abbildung 7: Bau des Schuppens im Garten (2022)
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Abbildung 8: Der Schuppen heute (2022)

Zweiter Umbau

1987 zog die Tochter der Familie zusammen mit ihrem Ehemann und Sohn in das Haus zu ihrer Mutter ein. Das Gebäude sollte nun umfassend modernisiert werden, da ein Abriss und Neubau nach Vorgaben des Bezirksamts nicht möglich war. Die Bedingung für den Ausbau des Hauses umfasste, dass das ursprüngliche Gebäude selbst erhalten bleiben muss.

 

Gleich zu Beginn wurde ein Architekt hinzugezogen, der den Umbau und großteiligen Ausbau des Hauses planen sollte. Das Haus erhielt einen großflächigen Anbau, welcher ebenfalls unterkellert wurde und eine Tiefgarage für den Trabanten der Familie umfasste.

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Zweiter Umbau
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Abbildung 9: Der Keller nach Plänen des Architekten  (2022)
Abbildung 10: Wohnräume (2022)
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Abbildung 11: Grundstück mit ausgebautem Heim (2022)

Aufgrund der anhaltenden Baumaterialknappheit in der DDR, war es auch zu jener Zeit oft schwierig, an benötigte Materialien für den Umbau zu kommen. Sobald Material zur Verfügung stand, wurde man benachrichtigt und musste sich dann schnellstmöglich zum Abholort begeben, um noch etwas von der Ware zu erhalten. Es wurde berichtet, dass man deshalb sogar nach einer Halbtagsarbeitsstelle Ausschau gehalten hat, damit man flexibler bei der Materialverteilung agieren konnte. 

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Trotz der umfangreichen Bauarbeiten am Haus ist die originale Wohnungstür des Behelfsheims bis heute an ihrer ursprünglichen Stelle verbaut (wenn auch mit einer erneuerten Klinke). Auch der Schuppen im Garten blieb bis heute erhalten. Aufgrund von wiederkehrenden Problemen mit Feuchtigkeit in den Wänden und daraus resultierendem Schimmel, vermuten die Bewohner*innen, dass sie selbst die letzten sein werden, die in diesem Haus leben.

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Abbildung 12: Material zum Bau der Erweiterung (2022)
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Abbildung 13: Bau des heutigen Wohnzimmers (2022)
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Abbildung 14: Die originale Tür des Ursprünglichen Behelfsheims (2022)
Abbildung 15: Das Haus heute (2022)

Rechtliches

Über lange Zeit waren Grundeigentum und Behelfsheim voneinander getrennt. Befand sich das Behelfsheim von Beginn an im Familieneigentum, lag der Grund bis in die 1990er Jahre in Staatshand. Dem vorausgegangen war der Übergang bäuerlicher Ländereien in das Eigentum Preußens. Der ursprüngliche Kauf des Behelfsheims beinhaltete ausdrücklich nicht den Erwerb der zugehörigen Flächen.

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Diese Trennung wurde zu DDR-Zeiten beibehalten und entsprach damit den allgemeinen politischen Bestrebungen Grund als kollektives Gut zu betrachten. Nach dem Ende des II. Weltkriegs unterstellte die DDR Behelfsheimsiedlungen rechtlich dem Kleingartenwesen, so auch die Müggelheimer Siedlungen. Aufgrund des allgegenwärtigen Wohnraummangels wurde die Dauerwohnnutzung von Behelfsheimen von staatlicher Seite geduldet, obwohl die rechtliche Einordnung als Kleingartenanlage dem entgegenstand. Die in den vorherigen Abschnitten geschilderten Aus- und Umbaumaßnahmen mussten zwar genehmigt werden, entgegen anderer Lebensbereiche ließ die DDR den Behelfsheimbewohner*innen dabei allerdings weitgehend freie Hand.

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Die aus bundesdeutscher Sicht unübliche Trennung von Grundeigentum und darauf befindlichen Bauten (abseits der Erbpacht) führte nach der deutschen Wiedervereinigung in zahlreichen ehemaligen Behelfsheimsiedlungen zu problematischen rechtlichen Zuständen, so auch in Müggelheim. Es galt die vorgefundenen Bedingungen an das bundesrepublikanische Eigentumsverständnis, gemäß bürgerlichem Gesetzbuch, anzupassen. Den Müggelheimer Behelfsheimbewohner*innen, deren Behelfsheim nachweislich als Lebensmittelpunkt fungierte, wurde in den frühen bis mittleren 1990er Jahren die Möglichkeit zum Grunderwerb geboten. Im Fall des Beispiel-Behelfsheims erfolgte dieser Erwerb auf Grundlage der Modrow-Gesetzgebung. Den Nutzer*innen sollte damit die Möglichkeit zum günstigen Erwerb selbst genutzter Flächen für Wohnzwecke ermöglicht werde. Dabei wurde in der Regel nur ein Bruchteil des eigentlichen Verkehrswerts gezahlt (in diesem Fall an das Land Berlin). Im Gegenzug sicherte sich das Land Berlin durch eine sogenannte Auflassungsvormerkung (vermerkt im Grundbuch) ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht [1]. Die Weiterveräußerung ohne eigene Nutzung zu einem wesentlich höheren Preis sollte auf diese Weise verhindert werden. Die Auflassungsvormerkung entfaltet ab Beurkundung im Grundbuch eine Bindungsfrist von 30 Jahren, ist also bis heute in vielen Fällen wirksam. Sollte dennoch ein Weiterverkauf an Dritte erfolgen, wäre hierfür die Zustimmung des Landes Berlin erforderlich. Die Zustimmung ist in der Regelung an die Zahlung eines Betrags i.H.v. 50 % des jeweiligen Verkehrswerts des Grundstücks gekoppelt.

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Andere gängige Optionen der Herstellung rechtskonformer Eigentumsverhältnisse, etwa der Verkauf entsprechend des Sachenrechtsbereinigungsgesetz oder die Vereinbarung einer Erbpacht, fanden in dem Fall dieses Behelfsheims keine Anwendung.

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Als Kleingartengebiet wird die ehemalige Behelfsheimsiedlung heute nicht mehr betrachtet.

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Rechtliches

Abbildungen

Abb. 1: Unterlagen der Familie

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Abb. 2: Unterlagen der Familie

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Abb. 3: Eigene Aufnahme

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Abb. 4: Eigene Darstellung

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Abb. 5: Unterlagen der Familie

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Abb. 6: Unterlagen der Familie

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Abb. 7: Unterlagen der Familie

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Abb. 8: Eigene Aufnahme

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Abb. 9: Unterlagen der Familie

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Abb. 10: Unterlagen der Familie

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Abb. 11: Unterlagen der Familie

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Abb. 12: Unterlagen der Familie

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Abb. 13: Unterlagen der Familie

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Abb. 14: Eigene Aufnahme

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Abb. 15: Unterlagen der Familie

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Abbildungen

Quellen

[1] Gräning, D. (2020): Sachenrechtsbereinigungsgesetz, [online] https://eiserne-hilfe.de/sachenrechtsbereinigungsgesetz/ zuletzt aufgerufen am 30.04.2022.

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Quellen

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