Von kurzfristiger Massenproduktion und langlebigen Provisorien
Müggelheim - Umfeld und Lage
In Müggelheim wurden ab 1944 sieben Behelfsheimsiedlungen errichtet. Vier Siedlungen lagen zwischen dem Müggelheimer Dorfanger und dem Enkenbacher Weg entlang der Sobernheimer Straße, drei weitere Siedlungen nordöstlich des Gossener Damms. In dieser Untersuchung werden lediglich die vier Siedlung südwestlich des Dorfangers betrachtet.
Die ersten Behelfsheimsiedlungen entstanden mit der Siedlung Blumenfeld zwischen der Sobernheimer Straße, dem Hornbacher Weg, dem Weg A und dem Weg E sowie mit der Siedlung Vogelwiese zwischen der Sobernheimer Straße, dem Wiesbacher Weg, dem Krampenburger Weg und dem Reichweilerweg. Die beiden Siedlungen des Deutschen Wohnungshilfswerks wurden durch Häftlinge des Arbeitskommandos 2b des KZ Sachsenhausen, die sich seit 1944 in der Sobernheimer Straße 23 befand, errichtet. Die Siedlung Blumenfeld ist mit etwa 112 Behelfsheimen auf 40.000 m2 die größte Siedlung Müggelheims. Die Siedlung Vogelwiese verfügte über etwa 50 Behelfsheime auf 21.000 m2. Die GEMA-Siedlung entlang der Wege J, O, K, L und der Sobernheimer Straße wurde daraufhin ab 1944 von der GEMA (Gesellschaft für elektronische und mechanische Apparate mbH) zur Unterbringung der Mitarbeiter*innen errichtet und umfasste etwa 25 Behelfsheime auf 9.200 m2. [9]
Die Forst-Wald-Siedlung wurde als letzte der vier Siedlungen zwischen der Sobernheimer Straße, dem Weg M, dem Krampenburger Weg und dem Weg N ebenfalls von den Häftlingen des Arbeitskommandos 2b errichtet. Die Planungen, die Siedlung in den angrenzenden Forst zu erweitern, wurden durch die Auflösung der KZ-Außenstelle im Februar 1945 nicht mehr realisiert, sodass sich die Siedlung lediglich auf 16.000 m2 und etwa 40 Behelfsheime beschränkt. [9]
Standortfaktoren:
Der Ortsteil Müggelheim liegt im Nordosten Berlins im Bezirk Treptow-Köpenick zwischen Wäldern und Gewässern nahe der Grenze zu Brandenburg. Zwischen den großflächigen Waldstücken wirkt das ehemalige Dorf nahezu isoliert vom großstädtischen Bebauungszusammenhang Berlins. Gerade dieser Aspekt ließ Müggelheim vermutlich zu einem attraktiven Standort für Behelfsheimsiedlungen werden, denn der dichte und alte Baumbestand bot zum einen Schutz vor einer erneuten Ausbombung [1] und wurde andererseits zur getarnten Unterbringung von Wirtschaftsgütern und Versorgungseinrichtungen genutzt [2]. Trotz der räumlichen Distanz war die Anbindung zur Berliner Innenstadt stets gegeben. Neben der hohen Flächenverfügbarkeit könnten diese beiden Standortfaktoren ausschlaggebend für die Entstehung der sieben Müggelheimer Behelfsheimsiedlungen gewesen sein. So entstanden zwischen 1944 und 1945 über 300 Behelfsheime auf 18 Hektar beschlagnahmten privatem Brachland [3][4], welches zuvor Müggelheimer Bauern gehörte [5][6]. Aber auch Flächen der Stadt Berlin und des Berliner Stadtforsts wurden der neuen Nutzung zugeführt. [7]
Die Lage wurde darüber hinaus maßgeblich von den umliegenden Gewässern geprägt. Der nahegelegene Große Müggelsee stellte insofern einen weiteren Standortfaktor dar, als dass er durch den Einsatz beleuchteter Flöße von den eigentlichen Siedlungsakkumulationen ablenken und somit Luftangriffe auf die Behelfsheime verhindern sollte. Doch auch die Anbindung an Berlin über den Wasserweg ist als Standortfaktor zu benennen. An der Großen Krampe, einem Nebenarm der Dahme, legten Transportkähne an, um Trümmerschutt aus Berlin in Müggelheim abzuladen, der als Baumaterial für die Siedlungen genutzt werden konnte. [8] Wichtig war bei der Standortwahl ebenfalls die Möglichkeit einer unkomplizierten Wasser- und Stromversorgung der Behelfsheime. Da in Müggelheim keine Leitungen auf den vorgesehenen Grundstücken vorhanden waren, wurde auf Gemeinschaftsbrunnen bzw. -pumpen gesetzt. [9]
Parzellierung und Karten:
Die Erschließung und Strukturierung der ehemaligen Brachflächen wurde von der vorherigen Parzellierung und Wegeführung abgeleitet. Der Vergleich von historischen Karten von 1928 und 1950 [9] verdeutlicht, wie die Sobernheimer Straße als spätere Haupterschließungsachse der verschiedenen Behelfsheimsiedlungen sowie einige Nebenstraßen schon Jahrzehnte zuvor angelegt wurden. Die Parzellen weisen eine große Gleichmäßigkeit auf, lediglich einige weichen durch angrenzende, schräg verlaufende Straßen von der rechteckigen Form ab. Die Parzellengröße variiert je nach Siedlung zwischen 400 und 500 Quadratmetern [7] – nur wenige Parzellen sind größer als die Standard-Parzellen, in diesen Fällen wurden zwei oder mehr Grundstücke zusammengelegt und mit größeren Kubaturen bebaut. Die meisten Behelfsheime sind durch kleinere Nebenstraßen erschlossen, sodass die Parzellen bzw. die Gebäude auf diese bezogen ausgerichtet sind.
Ästhetik:
Der Standort Müggelheim wies auch in den 1940er-Jahren durch die Nähe zu Wäldern und Gewässern sowie dem historischen Dorfkern Charakteristika auf, die auch aus heutiger Sicht als ästhetisch beschrieben werden könnten. Aufgrund der peripheren Lage und der Vielzahl der Behelfsheimsiedlungen ist davon auszugehen, dass gegebenenfalls mit einem Bestehen der Siedlungen weit über das Kriegsende hinaus gerechnet wurde. [11] Da in Müggelheim verschiedene Firmen Behelfsheime für ihre ausgebombten Mitarbeitenden planten und überwiegend durch KZ-Häftlinge anlegen ließen [7], konnte vermutlich einfacher eine gewisse Ordnung und Einheitlichkeit innerhalb der jeweiligen Siedlungen erreicht werden. Während sich sowohl die Behelfsheimtypen zwischen den verschiedenen Siedlungen unterschieden, lassen sich auf Karten auch Abweichungen bzgl. der Anordnung und Ausrichtung erkennen. So fällt bei der AEG-Siedlung auf, dass die Behelfsheime abwechselnd im vorderen und im hinteren Bereich der Parzelle platziert wurden. In der größten der Siedlungen – genannt Blumenfeld – wirkt die Anordnung der Gebäude weniger systematisch, allerdings lässt sich erkennen, dass viele der Behelfsheime nahe an den Parzellenrand gesetzt wurden, sodass immer zwei in geringer räumlicher Distanz zueinander stehen und optisch kleine Gruppierungen bilden. Markant sind hier auch die zwei größeren Parzellen entlang der Sobernheimer Straße, die mit größeren Kubaturen bebaut wurden und zum gegenüberliegenden KZ gehörten. Die KZ-Baracken als Außenlager des KZs Sachsenhausens bilden räumlich das Zentrum der Siedlungsakkumulation. Umgeben von den zwei größten Behelfsheimsiedlungen liegen die KZ-Gebäude auf einer großen rechteckigen Parzelle direkt an der Haupterschließungsstraße. Zwei lange sich gegenüberliegende Riegel, die parallel zur Sobernheimer Straße verlaufen, säumen gemeinsam mit mindestens einem Quergebäude einen großen Innenhof. Die Parzelle ist dreiseitig von Straßen umschlossen und grenzt unmittelbar an die umliegenden Behelfsheime der Siedlung Vogelwiese an.
Abbildung 1: Zeitstrahl Siedlungen (2022)
Abbildung 1: Bezirksamt Berlin-Köpenick (o.J.): Übersichtsplan der Ortslage Müggelheim. Verändert durch den Müggelheimer Heimatverein.
Müggelheim - Typologie
Die Behelfsheime in den vier in Müggelheim untersuchten Siedlungen variieren sowohl in der Bauart als auch der Grundfläche und der Gestaltung. Die Behelfsheime in den Siedlungen Blumenfeld und Vogelwiese wurden vom DWH durch Häftlinge des Arbeitskommandos 2b nach dem Reichseinheitstypen errichtet. Es wurden vorwiegend Mauersteine aus Trümmern verwendet. [9]
Die Behelfsheime verfügten in der Regel über zwei Räume auf einer Grundfläche von knapp 6 x 4,80 Metern, waren über eine Tür auf der langen Seite des Gebäudes begehbar und auf der gegenüberliegenden Seite mit einem Fenster je Raum ausgestattet. Im Gegensatz zum für für Reichseinheitstypen favorisierten Pultdach wurden die Behelfsheime mit einem Satteldach errichtet. Sie verfügten über eine Frischhaltegrube und einen Schornstein.
In der GEMA-Siedlung wurden die Behelfsheime äußerlich nach dem Reichseinheitstypen errichtet. Die Gebäude wurden jedoch ausschließlich aus hochkant gestellten Stolte-Dielen errichtet, auf denen über einem Ringanker aus Beton die Dachkonstruktionen aus Betonfertigteilen befestigt wurden. Abweichend vom Reichseinheitstypen wurden die Behelfsheime mit Satteldächern errichtet. [9]
Die Forst-Wald-Siedlung besteht aus etwa 40 aus Holz errichteten Behelfsheimen. Die Behelfsheime orientierten sich stark an dem Reichseinheitstypen. Sie wurden mit einem Pultdach errichtet, verfügten über zwei Zimmer, einen Wohnraum und ein Kinderzimmer, mit jeweils einem Fenster. Geheizt werden konnte mittels der Rohre des Herdes, über einen Schornstein verfügten die Gebäude nicht. Die Errichtung eines Behelfsheims für eine größere Familie erlaubte eine Abweichungen der Grund- und der Dachform zu einem Satteldach durch das Zusammenlegen zweier Häuser. [9]
Abbildungen
Abbildung 1: Bezirksamt Berlin-Köpenick (o.J.): Übersichtsplan der Ortslage Müggelheim. Verändert durch den Müggelheimer Heimatverein.
Quellen
[1] Rodenberg, M. (2020): Gelebte Räume – Behelfsheime für Ausgebombte in Franken, S. 141, Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim (Hrsg.), Bad Windsheim.
[2] Pieper, H. (1997): Das Müggelheim Buch. Landschaft – Geschichte – Personen, S. 119, Müggelheimer Heimatverein (Hrsg.), Berlin.
[3] Pieper, H. (1997): Das Müggelheim Buch. Landschaft – Geschichte – Personen, Kapitel Siedlergemeinschaft „Blumenfeld-Vogelwiese“, Müggelheimer Heimatverein (Hrsg.), Berlin.
[4] Hentschke, H. (1985): Müggelheimer Ortschronik, S.58, Berlin.
[5] Wuttke, V. (1995): Fast ein Jahr lang war mitten in Müggelheim ein KZ, in: Neues Deutschland, 03.05.1995.
[6] Müggelheimer Heimatverein (2008): „Müggelheim in der Kriegszeit“ [Ausstellungstafel]
[7] Schäfer, M. (2008): KZ-Häftlinge bauten Behelfsheime, in: Müggelheimer Bote, Juli 2008, S. 4-5.
[8] Pieper, H. (1997): Das Müggelheim Buch. Landschaft – Geschichte – Personen, S.121, Müggelheimer Heimatverein (Hrsg.), Berlin.
[9] Müggelheimer Heimatverein (2008.): „Das Behelfsheim“ [Ausstellungstafel]
[10] Landesarchiv Berlin/HistoMapBerlin (o.J.): Kartenwerk KV, Kartenblatt 2012 und 2013 aus den Jahren 1938 und 1950 (online) abrufbar unter http://histomapberlin.de/histomap/de/index.html
[11] Rodenberg, M. (2020): Gelebte Räume – Behelfsheime für Ausgebombte in Franken, S. 195, Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim (Hrsg.), Bad Windsheim.
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