Von kurzfristiger Massenproduktion und langlebigen Provisorien
Hermsdorf - Umfeld und Lage
Die Behelfsheimsiedlung befindet sich in dem Vilengebiet Hermsdorf, inmitten eines Einfamilienhausgebietes [1]. Die Siedlung wird begrenzt durch die Bertastraße, Schildower Straße, Veltheimstraße und Gertrudstraße. Die Siedlung befindet sich in der Nähe des Waldsees (ursprünglich Lessingsee), wo vor 1900 ein Kurpark lag. Nach 1900 hat der Architekt Dr. Wehl das Gebiet um den Waldsee künstlerisch umgestaltet, die Bebauung orientierte sich in der Folge an den der Geländeform angepassten Straßen. Die Fläche der Behelfsheimsiedlung war in seinen Plänen als “Spiel- und Turnplatz” ausgewiesen. Der Sportplatz, auf dem die Behelfsheimsiedlung Hermsdorf entstanden ist, misst eine Fläche von 20 493 m² [2].
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Standortfaktoren:
Die Siedlung wurde auf einer im Staatsbesitz befindlichen Fläche gebaut. Somit konnten besitzrechtliche Konflikte umgangen werden [3]. Die Parzellen wurden von den Anwohner*Innen durch einen Pachtvertrag von den zuständigen Behörden gepachtet [1]. Dadurch, dass die Behelfsheimsiedlung sich in einer Einfamilienhaussiedlung befindet, konnte dem Standortfaktor der Tarnung nicht entsprochen werden [3]. Bei einem Bombenangriff im Jahr 1944 trafen sogar zwei Sprengbomben eines britischen Flugzeuges die Behelfsheimsiedlung [1].
Die technische Infrastruktur war anfangs in der Siedlung nur notdürftig ausgebaut. Die Heime verfügten nur über einfach Sanitär-, Elektro-, und Heizanlagen [1].
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Parzellierung und Karten:
Die Fläche wurde in 58 etwa 300-350 m² große Pachtparzellen unterteilt [2]. In der Mitte diente ein großer Platz als Gemeinschaftsfläche. Dieser wurde jedoch überbaut.
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Ästhetik:
Die Heime in der Siedlung sind an den Straßen und Wegen orientiert. Ein Wandel der Gesamtanmutung der Siedlung geschah geht mit der Transformation der Gebäude im Rahmen der Erstellung eines Bebauungsplanes für die Siedlung.
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Hermsdorf - Typologie
Die Behelfsheimsiedlung Hermsdorf wurde 1944 auf einem ehemaligen Sportplatz zwischen Gertrud-, Veltheim-, Berta- und Schildower Straße für ausgebombte Berliner*innen errichtet [5]. Die Gesamtfläche der Siedlung beträgt rund 23.000 m² und besteht aus 56 Wohnhäusern auf Teilflächen von etwa 300 m² [6]. Die kleinste Teilfläche besitzt dabei eine Größe von 276 m², die beiden größten Teilflächen eine Größe von 414 m² [7]. Mit diesen Maßen entsprechen die Teilflächen dem Reichseinheitstypen, der ein mindestens 200 m² großes Grundstück für die Selbstversorgung vorsieht. In ihrem ursprünglichen Zustand besaßen die Behelfsheime mit den Maßen 6 x 4,5 m eine Grundfläche von 27 m² und 1,5 Zimmer. Die Mehrheit der Häuser hatten jedoch bereits schon in ihrem Urtyp einen 4,0 m langen und 1,7 m breiten Anbau mit abgeschlepptem Dach, der die Wohnfläche auf 36 m² erweiterte [8]. Mit diesen Maßen waren die Behelfsheime der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf von Beginn an deutlich größer als eigentlich in den Behelfsheimfibeln und im Rahmen des Reichseinheitstyps festgelegt. Dies kann zum einen an einer Nichtbeachtung der Richtmaße von den Bauherr*innen, zum anderen an abweichenden Materialien, nach denen der Bau eines größeren Behelfsheims von Vorteil war, gelegen haben.
Auf historischen Bildern vom Bau der Siedlung im Oktober 1944 ist zu erkennen, dass die Behelfsheime von Beginn an kein Pultdach, sondern ein Satteldach aufwiesen. Obwohl diese Dachform nicht die Vorzugsvariante Adolf Hitlers darstellte, entsprach sie dem Reichseinheitstyp.
Betrachtet man die ursprünglichen Grundrisse der Behelfsheime der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf und vergleicht sie mit dem Grundriss des Reichseinheitstypen, fallen weitere Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Die Behelfsheime der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf besaßen (wie der Reichseinheitstyp) zwei Fenster an der der Eingangstür gegenüberliegenden Hausseite. Nur die Breite der Fenster war mit 0,92 m etwas geringer als die des Reichseinheitstypen. Außerdem befand sich in dem kleineren der beiden Zimmer eine Herdstelle, die dem Reichseinheitstyp entsprechend neben dem Kochen auch der Beheizung des Gebäudes diente. Dementsprechend besaßen die Behelfsheime in Hermsdorf - wie auch auf historischem Bildmaterial erkennbar - einen Schornstein auf dem Dach.
Größter Unterschied zwischen den Behelfsheimen der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf und dem Reichseinheitstyp war die Raumaufteilung. Während der Reichseinheitstyp nur in zwei Räume unterteilt war, war das Hermsdorfer Behelfsheim in vier Räume unterteilt. Dies kann jedoch höchstwahrscheinlich auf die größere Ausführung des Baus zurückgeführt werden. Entsprechend der andersartigen Raumaufteilung befand sich die Eingangstür bei den Behelfsheimen der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf auch nicht wie beim Reichseinheitstypen mittig des Gebäudes, sondern etwas seitlicher. Zudem befand sich ein drittes Fenster neben dem Hauseingang, das der Beleuchtung des weiteren Zimmers diente. [9]
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Behelfsheime der Behelfsheimsiedlung Hermsdorf dem Reichseiheitstypen in vielen Aspekten entsprechen, jedoch aufgrund der abweichenden Grundfläche eine andere Raumaufteilung sowie Fenster- und Türpositionen aufweisen.
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Quellen
[1] vgl. Bauer, Harald (o.J.): Kleine Chronik um den Waldsee bezogen auf Kleinhaussiedlung Berlin-Hermsdorf e.V. Berlin.
[2] vgl. Schlickeiser, Klaus (2017): Hermsdorf - Siedlungsgebiete und alte Häuser. Förderverein für Bildung, Kultur und internationale Beziehungen Reinickendorf e.V. (Hrsg.), Berlin.
[3] vgl. Rodenberg, Markus (2020): Gelebte Räume – Behelfsheime für Ausgebombte in Franken. Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim (Hrsg.), Bad Windsheim
[4] vgl. Kleinhaussiedlung Berlin-Hermsdorf e.V. (o.J.): Historischer Rückblick: 70 Jahre Kleinhaussiedlung Berlin-Hermsdorf e.V., Berlin.
[5] vgl. Berlin-Hermsdorf e.V. (o.J.): Keine Chronik um den Waldsee, S. 14.
[6] vgl. Bezirksamt Reinickendorf (1996): Begründung zum Entwurf des Bebauungsplanes XX-24 7 vom 12. August 1996, S. 9.
[7] vgl. Bezirksamt Reinickendorf (o.J.): Plan über Parzellierung, zur Einsicht vom Berlin-Hermsdorf e.V. zu Verfügung gestellt.
[8] vgl. Bezirksamt Reinickendorf (1996): Begründung zum Entwurf des Bebauungsplanes XX-24 7 vom 12. August 1996, S. 9.
[9] vgl. Magistrat der Stadt Berlin (1946): Grundriss eines Behelfsheimes, zur Einsicht vom Berlin-Hermsdorf e.V. zu Verfügung gestellt.
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