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Repräsentation von Erinnerung

Das Erinnern an die NS-Verbrechen hat in der BRD einen hohen Stellenwert und gehört mittlerweile zur Staatsräson. Damit auch die Erinnerung an Behelfsheime Teil der Erinnerungskultur wird, muss das Verständnis vorhanden sein, welche unterschiedlichen Formen des Gedenkens bestehen und wie diese organisiert sind. Das Verständnis bildet die Grundlage, von der aus Formen des Gedenkens an das Erbe der Behelfsheime in Betracht gezogen werden können. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Formen des Gedenkens vorgestellt. Alle Formen haben gemein, dass sie Formen der Repräsentation der NS-Verbrechen sind. Anschließend wird die Denkmalästhetik der Geschichtswerkstätten vorgestellt, um diese Ästhetik in Bezug zu den Behelfsheimen zu setzen.

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Institutionalisierung und Ritualisierung

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Die Institutionalisierung der Repräsentation an die NS-Verbrechen hat einen zentralen Anteil an der Übernahme der NS-Verbrechen in das kollektive Gedächtnis [1]. Zu diesen Institutionen zählen Orte, Lehrpläne, Organisationen, die zwar von jeder Generation weiterentwickelt werden, jedoch normativ auf langfristige Geltung aus arbeiten. Hierbei etablierten sich Institutionen, die materielle Kulturgüter verwalten (Bibliotheken, Archive, Museen, Gedenkstätten) und welche die rituellen Wiederholungen durchführen (Jahrestage, Zeremonien, Traditionen).

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In Deutschland gründeten in den 1980ern und 1990ern der Bund, die Länder und die Kommunen Institutionen, deren Aufgabe die Bestandssicherung und Erneuerung des Gedenkens ist, mit der sie ihre Geschichtspolitik (bspw. Feiertage, Gedenkstätten, Reden) sowie die Vergangenheitsbewältigung (Wissenschaft, Rechtsprechung, Schulbildung) umsetzten [2]. Ziel der Institutionen ist, das Sammeln und Verdichten von Informationen sowie dazu normativ Stellung zu beziehen. Hierbei werden die materiellen und rituellen Entitäten so aufgearbeitet, dass sie niederschwellig von Unwissenden aufgenommen werden können [3]. Rituale haben die psychologische Funktion, dass sie dem Gefühl des Schreckens eine rituelle Form geben, die das Trauma artikulierbar machen und kanalisieren [4]. 

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Gedächtnisorte

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Neben Ritualen besitzen Gedächtnisorte eine besondere Rolle für die Erinnerung. Sie ermöglichen das Speichern und Erlebbarmachen von Vergangenheit in die Gegenwart [5]. Diese Orte können einerseits Erinnerungen wieder erwachen lassen oder das individuelle Gedächtnis nachkommender Generationen neu prägen, andererseits sind sie auch materielle Kulturgüter, die Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses sind.

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Gedächtnisorte sind „zielgerichtet erbaute Manifestationen der Erinnerung im öffentliche[n] Raum“ [6]. Die Gedächtnisorte haben als reale Orte für die zivilgesellschaftliche Mobilisierung eine herausragende Bedeutung. An den Erinnerungsorten kann man erkennen, wer wie an was im öffentlichen Raum erinnern möchte und das Erinnern „in Stein [ge]meißelt“ [7]. Mittlerweile sind sie Orte, an denen „Erinnerungsaktivist*innen repräsentative und normative Praktiken“ [8] ausüben.

 

Die Geschichtswerkstätten lehnten die monumentale Ästhetik damaliger Denkmäler ab und verfolgten für ihre Gedenkstätten dezentrale, authentische, selbstreflexive und differenzierte Ansätze [9].

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Dezentralität

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Im Gegensatz zu den zentralistischen Denkmälern sollten die neuen Gedenkstätten dort aufgestellt werden, wo ein historischer Kontext besteht oder wo das Alltagsleben stattfindet [10]. Eine Zentralisierung und der damit einhergehenden Reduzierung der individuellen Schicksale wurde abgelehnt. Das bekannteste in diesem Geist entstandene Projekt sind die Stolpersteine, die inzwischen in ca. 500 Gemeinden in den Fußweg eingelassen wurden und an Verfolgte Jüd*innen erinnern [11].

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Authentizität

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Mit Authentizität verbanden die Geschichtswerkstätten das Ziel, dass sich zum einen der Forschungsprozess in dem Denkmal widerspiegeln sollte, zum anderen aber auch die Spezifika und die Geschichte des Ortes (Lager, Wohnhäuser oder Synagogen) in die Denkmalgestaltung einfließen [12]. Monumente, die überall stehen könnten (in der Art von Grabsteinen, Obelisken) waren verpönt. Die von den monumentalen Denkmälern ausgehenden Emotionen beruhen auf dem räumlichen Eindruck, nicht auf der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Erinnerung. Der Ansatz der Authentizität verspricht „eine direkte Verbindung zu den eindrucksvollen historischen Ereignissen“ [13]. 

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Die bekanntesten Gedenkstätten, die auf authentische Orte abzielen, sind die ehemaligen Konzentrationslager bzw. die Topographie des Terrors [14]. Existierende Strukturen sollten erhalten, jedoch keine vergangenen Strukturen wieder rekonstruiert werden, weil dies nicht authentisch sei. Stattdessen ergänzten historische Ausstellungen die Gedenkstätten.  Hierbei besteht die Gefahr, dass die Orte falsche Bilder produzieren. Weder sollten die umgestalteten Orte von Besucher*innen mit dem Ort der Verbrechen verwechselt werden (in der Regel sind ehemalige Konzentrationslager meist sehr aufgeräumt, gepflegt), noch ein zu musealer Charakter den Ort zu einem Erlebnisort werden lassen [15]. Daneben wurden ehemalige Konzentrationslager auch für andere Nutzungen (Kriegsgefangene) genutzt, wodurch die Inszenierung immer nur einen Teil der Geschichte des Ortes darstellt [16].

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Reflexivität

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Anstelle des vorgefertigten Narrativs, das monumentale Denkmäler erzählen, sollten die neuen Denkmäler die Besucher*innen zum Denken anregen [17]. Die Denkmäler sollen irritieren und die Besucher*innen aufrütteln, sodass sie von selbst anfangen Fragen aufzuwerfen oder Antworten zur Intention des Denkmals zu suchen [18].

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Diversität

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Die Gedenkorte sollen der Diversität der Verbrechen gerecht werden [19]. Daher sollten sie detaillierte Informationen über die Täter*innen und Opfer besitzen und auf die heutige Stigmatisierung und Diskriminierung aufmerksam machen. Die Initiierung der Gedenkstätten für marginalisierte Gruppen führte zu einer Anerkennung von Minderheiten und sorgte hierdurch zu Demokratisierung der BRD [20].

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Ausblick: Behelfsheime als Gedenkstätten?

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Die Institutionalisierung und Ritualisierung kann in der Form, wie sie bei den bedeutenden Denkmälern an das NS-Verbrechen besteht, nicht auf Behelfsheime übersetzt werden. Die verschiedenen lokalen Eigentums- und Nutzungsstrukturen verhindern einheitliche Lösungen. Daneben stellt sich auch die Frage, ob die Institutionalisierung und Ritualisierung des Gedenkens zielführend ist. Gleichzeitig kann ein spezifisches Erinnern im lokalen Kontext auch umgesetzt werden, wie das Beispiel in Hamburg zeigt. 

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Auch bei der Gedenkstätte in Hamburg wurden die Ansätze der Geschichtswerkstätten berücksichtigt. Aus einer heutigen Betrachtung wirken die dahinterstehenden Beweggründe noch zeitgemäß und sollten auch bei möglichen Behelfsheim-Gedenkstätten in Berlin in Betracht gezogen werden. Wichtig ist jedoch zu berücksichtigen, dass auf die lange bzw. noch bestehende Nachnutzung passende Antworten gefunden werden und nicht nur eine singuläre Geschichte des Ortes präsentiert wird.

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Institutionalisierung und Ritualisierung
Gedächnisorte
Dezentralität
Authentizität
Reflexivität
Diversität
Ausblick: Behelfsheime als Gedenkstätten?

Quellen

[1] Assmann, A. (2021): Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. 4. Auflage, S. 238. München: Verlag C.H.Beck oHG
 

[2] ebenda, S. 239
 

[3] ebenda, S. 240
 

[4] ebenda, S. 228, 231
 

[5] ebenda, S. 217
 

[6] Wüstenberg, J. (2020): Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, S. 26. Bonn, Berlin: LIT VERLAG Dr. W. Hopf
 

[7] ebenda
 

[8] ebenda, S. 27
 

[9] ebenda, S. 203
 

[10] ebenda, S. 206
 

[11] ebenda, S. 209
 

[12] ebenda, S. 211
 

[13] ebenda, S. 215
 

[14] ebenda, S. 212
 

[15] Assmann, A. (2021): Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. 4. Auflage, S. 214. München: Verlag C.H.Beck oHG 
 

[16] ebenda, S. 225
 

[17] Wüstenberg, J. (2020): Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, S. 216. Bonn, Berlin: LIT VERLAG Dr. W. Hopf 
 

[18] ebenda, S. 219
 

[19] ebenda, S. 222-223
 

[20] ebenda, S. 113

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Quellen

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